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Bikerafting in Sibirien

 
Die Kombination aus Paddel und Pedale ist vielleicht die cleverste aller Packrafting - Variationen. Denn zugegeben, jeweils die komplette Paddelstrecke klassisch zu wandern, ist oft mühsam und dauert meist länger als der eigentliche Spaß auf dem Wasser. Per Fahrrad ist der Landweg im Verhältnis jedoch 
unerheblich!


Bikerafting-Packsystem

Und bei aller Leichtigkeit, Hand aufs Herz, eine Packraftingausrüstung addiert einen substanziellen Teil zum Rucksackgewicht. Auf dem Fahrrrad spielen 5 kg zusätzlich aber praktisch keine Rolle! 

Richard, aka the Lonely Traveller

Es muss ja auch nicht in seiner extremen Form sein, wie uns Richard hier mit auf seine Reise nach Sibirien nimmt. Ein Rad auf dem Bug ist nicht jedermanns Sache, mit Wildwasseranteilen schon gar nicht. 

Aber auch "Bikerafting light" (die Kombination aus Rad, Boot ... und Auto) ist eine vertretbare Variante, v.a. für Tagestouren! Das Auto steht am Ausstieg, per Bike/Boot geht es "aus eigener Kraft" zum Einstieg, es folgt ein schöner Paddeltag auf dem (Wild)Wasser und zum Abschluß wird fix das Fahrrad vom Einstieg geholt! Auch das ist Bikerafting!  Nun aber zurück zu Richard und seiner Sibirientour.

Bikerafting in Sibirien

Piste in den Ostsajan

Die Idee einer Querung des Sajan- und Altaigebirges war schon ein paar Jahre alt. Immer wenn ich eine Karte vom südlichen Sibirien vor mir hatte, wanderte mein Finger eine bestimmte imaginäre Linie entlang: von der Südspitze des Baikalsees auf der einzig existierenden Stichstraße direkt in den Ostsajan, dann über ein größeres Gebiet unzugänglicher Taiga, in dem es immerhin ein paar Trapperpfade zu geben schien, und weiter in das von mehreren Gebirgszügen umrahmte steppenhafte Tuwa-Becken; von da dann weiter entlang des südlich angrenzenden Tannu-Ola-Gebirges und über den östlichen Altai bis zum Chuiski-Trakt, einer Hauptstraße, die aus dem zentralen Altai wieder nordwärts hinaus führt. Diese Route zu gehen, war lange Zeit mein Traum, und ich wollte sie in einem Ritt auf eigene Faust bewältigen.
 
Pfad durch die Taiga

Allerdings bereitete mir der wegelose Abschnitt zwischen Ostsajan und Tuwa-Becken lange Zeit Kopfzerbrechen, denn es gab für mich ein bevorzugtes Fortbewegungsmittel: das Fahrrad. Mit selbigem war ich schon mehrfach in Russland, Sibirien und Zentralasien unterwegs. Im kirgisischen Tienschan ging es dabei auch mal einige Tage wegelos durch enge Flusstäler und über steile Bergpässe – auf Tierpfaden schiebend oder tragend, nie aber mehr als 50 km am Stück. Der Part durch die Taiga des Ostsajans war aber mit etwa 200 km um einiges länger – ein Fahrrad hier vielleicht zwei bis drei Wochen auf wilden Fußpfaden durch die Wälder zu zerren, kam mir dann doch etwas heftig vor.

Erste Flusskilometer

Wie also da durch? Die Antwort kam, als ich vor zwei Jahren auf das Thema Packrafting stieß. Die Möglichkeit, auch Wasserwege mit in die Routenplanung einer Radtour einzubeziehen, warf ein ganz neues Licht auf mein Vorhaben. Denn ein Packraft würde mir als Radreisenden plötzlich das Überwinden von unüberwindbar erscheinenden Wildnisregionen ermöglichen. Ich legte mir ein Packraft zu, genaugenommen einen Packraft- Zweier. Dieser erfüllte genau meine Ansprüche, da er in der Solonutzung locker mit allem beladen werden kann: Fahrrad, Ausrüstung für vier Jahreszeiten und Proviant für mehrere Wochen. Insofern hatte ich mich damit schon für ein richtiges Expeditionsraft entschieden, mit dem ich richtig lange autark unterwegs sein kann. Ein paar mehrtägige Probetouren in Polen (Dunajec, Pilica, Pliszka, Drawa) haben mich letztlich überzeugt, es auch in abgelegenen Gebieten Sibiriens einzusetzen.

Izig-Sug

Der Plan war nun, den wegelosen Part vom Ostsajan ins Tuwa-Becken mit einer Flussfahrt zu überbrücken. Es gab sogar mehrere Varianten in Ost-West-Richtung: Belin – Kyzyl-Hem – Ka-Hem (südliche Route), Bij-Hem (mittlere Route) und Izig-Sug – Hamsara (nördliche Route). Ich bat einen erfahrenen Russlandrafter um Rat und bekam den Tipp, dass die nördliche Variante über den Fluss Hamsara die einfachste sei. Zumindest hätten die anderen Flussrouten zwischenzeitlich anspruchsvolles Wildwasser der Kategorie IV und V, was viel Erfahrung und ein dafür taugliches Raft voraussetzt – beides hatte ich nicht, denn das Boot ist nur für einen Einsatz bis Wildwasser III gedacht. Aber auch für die nördliche Route gab es Hinweise auf Stromschnellen der Kategorie IV, das zumindest deutete der Internetbericht eines russischen Rafterpaars an. Außerdem blieb zu bedenken: was für einen großen Katamaran Kategorie III ist, kann für ein Packraft auch IV oder V bedeuten...

Wildwasser

Zunächst war ich mir nicht sicher, ob ich es wagen sollte, immerhin wäre es mein erstes Wildnisrafting, dazu noch im Alleingang. Doch dann schaute ich mir ein paar Youtube-Videos an, um einen Eindruck von der Flussdynamik der Hamsara zu bekommen, übersetzte mir mit Google-Translator eine knappe Beschreibung der Route und versuchte die dort erwähnten kritischen Stellen sowie alle in den Google-Satbildern erkennbaren Stromschnellen bestmöglich auf den von mir vorbereiteten topographischen Karten im Maßstab 1:100.000 zu verorten – und fasste im Spätsommer 2014 den Entschluss, es doch zu wagen...

Umtragstelle
 
Die Umsetzung der Tour verlief letztlich ohne Probleme, überall bin ich relativ gut durchgekommen. Keine der Stromschnellen musste am Ufer umgangen werden, alle waren auf Anhieb passierbar. Nur eine kritische Situation gab es, als ich im verblockten Wildwasser des Izig-Sug an einen Fels gedrückt wurde und das Boot ruckzuck voll lief. Dabei wäre mir der noch ungesicherte Schlafsack, den ich als Sitz ins Boot geklemmt hatte, beinahe abgehauen...

Jäger- und Fischercamp

Wildwasser war vor allem im oberen Izig-Sug ein Thema, da ich hier mit dem größten Flussgefälle zu tun hatte. Am dritten Raftingtag waren das beispielsweise 130 Höhenmeter auf nur 16 km. Es gab viel Steinkontakt, einige Male bin ich auch sitzen geblieben. Die größeren Felsen, die deutlich aus dem Wasser ragten, ließen sich aber meist gut umgehen. Trotz Beladung mit etwa 70 kg Gepäck blieb das Packraft stets wendig genug. Nur mit vollgeschwappten Boot wurde die Navigation etwas träger.

Ustju-Deerlig-Hol

Ab dem Zufluss des Choigan-Hem wurde es ruhiger, ja fast schon still. Aktives Paddeln war angesagt, vor allem auf den nun folgenden zwei Seen Ustju-Deerlig-Hol und Aldy-Deerlig-Hol. Leider gab es fast ständig spürbaren Gegenwind, so dass ich nur mit Mühe etwa 1 km/h halten konnte; sobald ich stoppte, trieb ich sofort zurück... Die Abend- bzw. Morgenflaute war hier die einzige Chance, vorwärts zu kommen.

Nachtlager am Wasserfall

Danach begann der Fluss Hamsara. In einer Schlucht aus basaltischer Lava musste ein 5 m hoher Wasserfall umtragen werden, es war der wohl eindrucksvollste Ort der gesamten Flussroute. Am Folgetag erwischte mich das erste Mal der sibirische Winter und das Mitte September. Schneeflocken, groß wie Toastbrote, flatschten mir auf das Boot. Der Fluss dampfte, bei wenig Sicht rauschte ich durch etliche Stromschnellen. Ohne Trockenanzug wäre ich spätestens hier erfroren ;-)

Hamsara im Schnee

Dann ein kleines Dorf namens Chasylar, total abgeschnitten von der Außenwelt traf ich hier die ersten Tuwiner. Einen Einkaufsladen gab es nicht, auf Nachfragen schenkte man mir aber selbstgebackenes Brot, was mir hier draußen wie ein Luxusgut vorkam. Dahinter folgten die Stromschnellen, die in der von mir übersetzten Flussbeschreibung speziell hervorgehoben wurden: die Kucyj-, Rjaboj- und Kizhi-Hemski-Schwelle. Das Wildwasser unterschied sich aber kaum von dem, was mir bisher unterkam. Möglich, dass mir der Niedrigwasserstand des Herbstes zu Gute kam, bei Hochwasser würden die Wellen sicher etwas größer sein.

Tuwinerdorf Chasylar

Einen Nachteil hatte der geringe Wasserstand aber auch: die ruhigen Bereiche der Hamsara lagen fast still da und so war zwischenzeitlich wieder viel Paddelarbeit notwendig. Erst zum Schluss wurde der Fluss wieder etwas flotter, gute 40 km schaffte ich an meinem letzten Raftingtag. Am Unterlauf traf ich derweil immer mehr Menschen, die mit schmalen Motorbooten flussaufwärts fuhren und ihr Anglerglück versuchten. Aber auch am Oberlauf und bei der Passquerung zum Fluss traf ich gelegentlich auf Einheimische oder Eingeflogene, die längste Zeit ohne jeglichen Kontakt betrug nur vier Tage.

Begegnung mit Anglern

Nach insgesamt 13 Tagen und fast 300 km auf dem Wasser erreichte ich schließlich die erste Piste in Tuwa. Ich hatte sie zuvor auf den Google-Satbildern lokalisiert, auf den Karten ist sie bis heute nirgendwo verzeichnet. Bis zum nächsten Versorgungsposten, dem Gebiets-Zentrum Toora-Hem, waren es dann noch zwei Tage. Seit dem letzten in Burjatien, dem Gebiets-Zentrum Orlik, war ich fast drei Wochen autark unterwegs gewesen.

Nachtstimmung am Fluss

Alles lief soweit nach Plan, nur die Passquerung zum Izig-Sug hatte mich etwas mehr Zeit gekostet, vor allem das letzte Stück auf Wanderpfaden. Wurzeln über Wurzeln und etliche umgestürzte Bäume ließen mich am Ende nur noch 5 km am Tag vorankommen. Zu Fuß wäre das sicher einfacher gewesen, aber rückblickend war ich froh, mein Rad als Sherpa dabei zu haben, denn 50 kg Gepäck auf dem Rücken zu schleppen, hätte mir auch nicht besser gefallen. Außerdem wollte ich ja noch weiter in den Altai, ein Monat blieb mir noch dafür. Aber das ist eine andere Geschichte...

Die Ausrüstung 

Für die Flussfahrt, die ich zusätzlich zur üblichen Radreiseausrüstung dabei hatte, brachte rund 5 kg auf die Waage:

Boot: Universelles Packraft

Paddel: 4-fach teilbar
Trockenanzug: Anfibio Packsuit basic mit Füßlingen
Schwimmweste: Anfibio Buoy Boy 


Bike und Raft

Die Strecke 

Wer jetzt Lust auf ein eigenes Packrafting-Abenteuer in der riesigen unberührten Wildnis des Ostsajans bekommen hat, dem seien noch folgende Links empfohlen:

Knappe Beschreibung der gefahrenen Flussroute (letztes Kapitel ganz unten).

Sammlung diverser Flussbeschreibungen in der Region Baikal-Ostsajan:

Sowjetische Generalstabskarten zum freien Download.

Die Strecke

Zum Schluss noch ein nicht unwichtiger Hinweis: Die Stichstraße vom Baikalsee in den Ostsajan geht aufgrund der Nähe zur Mongolei für einige Kilometer durch eine Grenzzone. Um diese passieren zu dürfen, muss 60 Tage im Voraus ein „Propusk“ („Passierschein“ bzw. Grenzpermit) bei der zuständigen Grenzverwaltung in Ulan-Ude beantragt werden. Das Grenzpermit ist kostenlos und kann zur unmittelbaren Aushändigung auch an den Kontrollposten in Mondy bestellt werden.

Finale im Altai

Da ich den Antrag aber ein paar Tage zu spät gestellt hatte, wusste ich bei Ankunft in Mondy nicht, ob mein Permit schon da ist. Vorsichtshalber erwähnte ich es nicht und man ließ mich tatsächlich ohne passieren. Ich habe aber auch schon Geschichten gehört, dass Reisende ohne Permit wieder zurückgeschickt wurden. Eine Beschreibung, wie ich an das Grenzpermit gekommen bin, kann in diesem Forumsbeitrag nachgelesen werden.