Teil 1 der Vjosa/Albanien Geschichte gibt es hier.
von Jana und Jens Steingässer
Fluss unter Druck
Nach zwei Wochen im Sattel bei Temperaturen um die 45°C können wir es kaum erwarten, der Vjosa endlich von der Quelle in Nordgriechenland bis zur Mündung in die Adria zu folgen. Wenn das überhaupt möglich ist. „Ich kann mich nicht erinnern, die Vjosa jemals mit so niedrigem Wasserstand gesehen zu haben!“, ernüchtert uns Kristina. Sie kennt die Vjosa seit ihrer Kindheit. Als investigative Journalistin verfolgt sie seit Jahren kritisch die Pläne zum Bau von Wasserkraftwerken an der Vjosa, deckt Korruption, intransparente Vergabeverfahren von Baugenehmigungen und den illegalen Abtransport von Flusssedimenten für die Bauindustrie auf. Noch darf die Vjosa frei fließen – und gilt deshalb unter Wissenschaftlern, Umweltschützern und kritischen Journalisten trotz der massiven Verschmutzung durch Müll weltweit als seltenes und extrem artenreiches Juwel.
Wem gehört das Baby?
„Ist das Dein Ernst?“. Ich starre das kleine Rinnsal an, dass sich hinter der Staumauer im griechischen Pindosgebirge leise plätschernd seinen Weg sucht. Das soll die Quelle des Flusses sein, wegen dem wir 3000 Kilometer Anreise auf uns genommen haben? Eine Fluss-Geburt habe ich mir spektakulärer vorgestellt! Paula, Mio, Hannah und Frieda graben in Rekordgeschwindigkeit ihre Sandalen aus und folgen dem Rinnsal durch den Wald. Weit kommen sie nicht, denn es gibt zu viel zu bestaunen: Frösche in allen Größen, Fische, Insekten, Schmetterlinge, Tierspuren in der matschigen Randzone, vom Wasser umspülte Kletterfelsen... .
Warum die Vjosa, die hier Aoos heißt, direkt nach ihrer Geburt so lahm dahinplätschert wird uns klar, als wir die Dimension der Staumauer und des Stausees überblicken: Das abgefangene Wasser wird vom Damm aus in einen anderen griechischen Fluss umgeleitet. Konflikte um Wasserverteilung und Nutzung entstehen an der Aoos tatsächlich schon in dem Moment, in dem sie das Licht der Welt erblickt!
Früh übt sich...
Hier die Packrafts zu Wasser lassen macht im Sommer wenig Sinn, deshalb hangeln wir uns durch das Epirusgebirge weiter, stoßen an jeder möglichen Stelle wieder auf den Fluss. Wo möglich pumpen wir die Rafts auf und üben mit den Kindern Paddeln im Wildwasser. Mio, Hannah und Frieda stellen erstaunt fest, das ihre Boote sogar noch dann stabil sind, wenn sie kurzzeitig in den Schnellen volllaufen wie Badewannen. Erst ab der Stelle, an der sich der majestätische Voidomatis mit der Aoos vereint, lohnt es sich die Rafts einzusetzen, ohne auf Grund zu laufen. Dort, wo sich die Vjosa durch enge Schluchten windet, zieht Jens alleine mit Faltrad im Schlepptau los, ab dem albanischen Mittellauf nehmen wir auch die Kinder mit ins Boot.
Wasserleben und Lebenswasser
Durch das Tal von Kuta mäandert der Fluss als lebensspendendes Band. Alte Männer mit sonnengegerbten Gesichtern führen ihre Herden an die Ufer. Pferde ziehen vorbei, turmhoch beladen mit der frischen Ernte, die Familien gerade von ihren Äckern geholt haben. Unsere Kinder verfolgen am Ufer Schildkröten, die es nach Abklingen der schlimmsten Tageshitze aus ihren Verstecken lockt, bestaunen Schmetterlinge und bizarr aussehende Insekten, winzige Kröten, Frösche und Schlangen. „Das alles steht auf dem Spiel. Mein Haus wird es nicht mehr geben. Unser ganzes Tal wird unter Wasser stehen. Wir verlieren unsere Lebensgrundlage!“ Soni, ein junger albanischer Familienvater aus dem kleinen Dorf Kuta, hat sich dem Protest gegen die geplanten Wasserkraftanlagen angeschlossen. Entgegen der Wahlversprechen hat die albanische Regierung 8 Konzessionen zum Bau von Kraftwerken an der Vjosa vergeben, 23 an ihren Zuflüssen. Damit wäre das Ende dieses Flusssystems besiegelt (riverwatch.eu).
Was wirklich auf dem Spiel steht, erahnen wir, als wir zu einer langen Tagesetappe mit den Rafts aufbrechen. Die Uferböschung wimmelt von Leben – ein solcher Vogelreichtum hat für uns leider mittlerweile absoluten Seltenheitswert. In die Uferabbruchkanten haben unzählige Vögel ihre Nisthöhlen gebaut. Jugendlich aus den umliegenden Dörfern werfen sich grölend in die Strömung, als wir an ihnen vorbeipaddeln. Paula, Mio, Hannah und Frieda springen immer wieder übermütig aus den Rafts und lassen sich von der Strömung mitziehen.
Es kommt ein Wind!
Wie aus einem überdimensionalen Föhn bläst uns heiße Luft mit 3-4 Windstärken entgegen. Als wir Pocem erreichen, kommen wir trotz aller Paddelanstrengung kaum noch voran. Der Fluss hält uns ironischerweise genau an der Stelle fest, an der eines der ganz großen Staudammprojekte geplant ist. Und das ist mehr als ein Symbol, denn NGOs, Wissenschaftler und lokale Bevölkerung haben ihr Veto eingelegt und den Bau vor dem obersten Gerichtshof Albaniens vorerst stoppen lassen. Vielleicht hat es noch nicht jeder gehört, aber die Vjosa-Botschaft ist klar: Zieht Euch warm an, jetzt gibt es echten Gegenwind!
Call for Action
Was könnt ihr zum Erhalt der albanischen Wildflüsse tun? Ein Anfang wäre diese Petition unterschreiben (nachfolgendes Bild anklicken) oder spende sogar einen kleinen Beitrag (unten).