Wie kommt man dazu 17 Wildwasserflüsse in 3 Monaten zu paddeln? Ganz einfach, man sucht sich ein Basislager in der Schweiz (z.B. ein Job bei Mammut) und man paddelt, viel.
Zugegeben, es hilft sicher, wenn man Gabriel Gersch heißt oder zumindest seinen Spirit teilt. Nicht nur der Umfang an Flusskilometern ist beeindruckend, sondern auch der fahrtechnische Fortschritt, gerade ohne (selbstbekennend) ernsten Hintergrund im Wassersport.
Gabriel ist seit März diesen Jahres Kooperationspartner von uns, insbesondere in Zusammenhang mit seiner anstehenden Grönlandreise. Im Rahmen des „Join me“ Konzeptes (kleines Budget, großes Abenteuer) von „Outventurous“ kommt alt-bewährte wie relative neue Ausrüstung zum Einsatz. Die Flusskilometer vom Frühjahr können durchaus auch als Stresstest gelten.
Wenn es so etwas wie Kompetenz für Wildnisreisen gibt, dann kann man das Gabriel mit Fug und Recht zuordnen. Auch wenn ‚Wildnis‘ letztlich immer ein ‚Concept of mind‘ ist, 500 weglose Kilometer in der Brooks Range, solo, sind bspw. brauchbare Referenz.
Auch Gabriels Packrafting Karriere begann früh, schon 2010, aber das ist bereits Teil der Geschichte …
von Gabriel Gersch
Vom pragmatischen Reise-Paddler zum sportlichen Wildwasser-Packrafter
Mein erstes Packraft habe ich 2010 gekauft, damals stand eine Durchquerung der nördlichen Wrangells im Südosten Alaskas an (Nabesna nach McCarthy). Auf der Route müssen stattliche Gletscherflüsse, der Nabesna und Nizina River, überquert werden, welche wir drei Anfänger mehr schlecht als recht hinunterpaddelten. Unsere Wildwasser-Erfahrung lag damals bei Null ...
Seitdem sind einige Jahre vergangen und ich verbrachte weitere vier Sommer in Alaska, wo ich dutzende Flüsse paddelte. Nie um des Paddelns willen, immer lag das Trekking im Fokus. Mein Packraft war nur das Werkzeug. Da typischerweise intuitiv und einfach zu steuern, kamen wir jedoch immer recht sicher und ohne größere Probleme an unserem Ziel an.
Die meisten meiner Touren fanden nördlich des Polarkreises statt, in der Brooks Range. Der Großteil der Flüsse ist dort eher breit und flach, technische Schwierigkeiten gibt es wenige. Und so kam es, dass ich jahrelang Packrafting-Reisen unternahm, ohne mir je theoretisches Wissen zu Technik und Sicherheit im Wildwasser anzueignen.
Das änderte sich Anfang des Jahres, als ich mich berufsbedingt dazu entschied, fünf Monate in der Schweiz zu verbringen. Plötzlich hatte ich eine Vielzahl von technischen Wildwasserflüssen in meiner unmittelbaren Umgebung.
Zeitgleich hatte ich mich für eine neues, sportliches Packraft entschieden, welches meine Fähigkeiten herausforderte bzw. dessen Potential ich nutzen wollte.
Neues Boot, neue Möglichkeiten
Seit Jahresbeginn fahre ich ein MRS Alligator 2S Pro. Das Packraft ist schlank geschnitten, man kann damit deutlich präziser fahren als mit breiteren Modellen. Schenkelgurte helfen das Packraft zu „kanten“, man kann damit also viel besser auf verschiedene Strömungen reagieren. Die Spritzdecke schließt sicher, auch im wuchtigen Wildwasser muss ich nie anhalten, um Wasser aus dem Boot zu leeren. Das ISS (Internal Story System) am hinteren Teil des Bootes erlaubt es, das Gepäck im Inneren des Schlauchs zu verstauen. Damit liegt der Schwerpunkt tiefer, als wenn alle Ausrüstung vorn auf dem Bug des Bootes geschnallt ist, was die Fahrt im Wildwasser sicherer und das Manövrieren leichter macht.
Von der Theorie zur Praxis
Ich bin Autodidakt, theoretische Quellen in Verbindung mit meinen bisherigen Erfahrungen haben mich durchaus weitergebracht. Das muss nicht unbedingt für jeden zweckmäßig sein. Nicht ohne Grund gibt es eine Vielzahl von Kanuschulen.
Das Verstehen der Strömungsformen ist in jedem Fall Grundvoraussetzung aller Ambitionen, ebenso wie zuverlässige Partner und ein gewisses sicherheitstechnisches Know-How (z.B. Umgang mit dem Wurfsack).
Als Mindestmaß an Technik und praktischer Fähigkeit sehe ich:
- Wiedereinstieg ins Boot
- Kehrwasserfahren
- Traversieren (Seitfähre)
- Stützen und Kanten
Ich habe eine recht hohe Bereitschaft zum Kentern (bzw. Schwimmen), das heißt, ich probiere viel aus und lerne aus meinen Fehlern. Das sind natürlich meine Erfahrungen, klar muss dies nicht für jeden gelten, schon gar nicht als Empfehlung. Auf jeden Fall kann man es sich nur leisten, wenn man sich absolut auf den Wiedereinstieg (im Wasser) verlassen kann, deshalb ist für mich essentiell, diese Technik routiniert zu beherrschen.
Über die Wichtigkeit von Kehrwasserfahren muss man keine weiteren Worte verlieren, nur so sind kontrollierte Befahrungen eigentlich erst möglich. Außerdem macht das „Spielen mit Kehrwassern“ Spaß. Meine Videos zeigen das ganz gut.“
Das Schweizer Revier: Saison, Flüsse und Paddel-Partner
Meine Zeit in der Schweiz deckte sich glücklicherweise mit der interessantesten Zeit für Paddler: Der Schneeschmelze von April bis Juni, auch wenn es einige, gletschergespeiste Flüsse (z.B. die Lütschine bei Interlaken) gibt, welche den ganzen Sommer über laufen.
Meine Zielgebiete lagen hauptsächlich im Berner Oberland und dem Bündner Land, welche eine Vielzahl von Flüssen für den Einstieg ins richtige Wildwasserfahren bieten.
Los ging es Anfang April, also noch lang vor der Hauptschneeschmelze.
Bei keinem dieser Wochenend-Ausflüge war ich allein! Sicherheit, Lerneffekt und Spaßfaktor sind ausreichend Argumente.
Meistens konnte ich gleichgesinnte Packrafter finden, die ich über eine selbst gegründete Gruppe „Packrafting in Switzerland“ zusammenhielt. Oft haben wir recht spontan entschieden, welche Flüsse wir am jeweiligen Wochenende befahren wollen, je nach Wetter, Wasserstand und Fähigkeiten der Paddler.
Eine super Seite für Flüsse, Schwierigkeitsgrade und Pegelstände im ganzen Alpenraum (nicht nur Schweiz) und meine primäre Informationsquelle: www.rivermap.ch
Fazit
Wildnisreisen bleiben meine große Leidenschaft, dort gehört mein Packraft hin.
Aber der ‚Sportbootmodus‘ hat mir dieses Frühjahr unglaublich viel Spaß gemacht. Auch werden durch diese Erfahrungen meine Reisen sicherer.
Ich nutze eher „gehobene“ Ausrüstung, dennoch lassen sich auch mit einfachen, offenen Booten Strömungstechniken üben und viel Technik erlernen. Dazu möchte ich ermutigen. Vorsicht und Sicherheitskenntnisse mit an Bord, keine Frage.
Ich habe in den vergangenen fünf Monaten wohl beinah genauso viel Zeit auf dem Wasser verbracht, wie in den gesamten acht Jahren davor und das einzige, was ich bereue, ist, nicht schon früher damit begonnen zu haben …